Südtirol am Scheideweg: Zwischen Wachstum, Lebensraum und nachhaltiger Zukunft des Tourismus

Südtirol, eine herausragende alpine Destination, steht an einem entscheidenden Punkt. Der bemerkenswerte Erfolg im Tourismus, der sich durch kontinuierliches Wachstum bei Besucherzahlen und Übernachtungen auszeichnet, gerät zunehmend in Konflikt mit der Lebensqualität der lokalen Bevölkerung und der ökologischen Integrität der sensiblen alpinen Umwelt. Diese Spannung, oft unter dem Begriff „Overtourism“ zusammengefasst, befeuert eine weitreichende Debatte und treibt einen strategischen Wandel hin zum „Lebensraummanagement“ voran – einem ganzheitlichen Ansatz, der das Wohlergehen der Bewohner und den Schutz der natürlichen Ressourcen gleichberechtigt neben dem wirtschaftlichen Erfolg priorisiert.

Die Hauptprobleme umfassen eine rasante Zunahme der Besucherzahlen, die zu Überfüllung, Verkehrsüberlastung, steigenden Wohnkosten, Belastung der Infrastruktur und Umweltzerstörung führt. Dies hat eine abnehmende Akzeptanz der derzeitigen Tourismusmodelle in der lokalen Bevölkerung zur Folge. Obwohl der "Bettenstopp" einen wichtigen Schritt darstellt, sieht er sich mit Herausforderungen bei der Umsetzung und Kritik an seiner Wirksamkeit konfrontiert. Zudem bedroht der Klimawandel den traditionellen Wintertourismus direkt und erfordert eine Diversifizierung des Angebots.

Als strategische Antwort verfolgt Südtirol ambitionierte Nachhaltigkeitsziele, wie die Reduzierung der CO2-Emissionen und Klimaneutralität bis 2040. Die Region fördert nachhaltige Mobilitätslösungen, darunter den Guest Pass und den Ausbau der Radinfrastruktur, und implementiert umfassende Umweltmanagementsysteme für Wasser und Abfall. Darüber hinaus wird ein datengestützter Ansatz durch die Beobachtungsstelle für nachhaltigen Tourismus Südtirol (STOST) vorangetrieben und die branchenweite Einführung von Nachhaltigkeitsstandards gefördert.

Die Zukunft des Südtiroler Tourismus hängt maßgeblich von der Fähigkeit ab, von quantitativem Wachstum zu qualitativer Entwicklung überzugehen. Dies beinhaltet die Schaffung eines ausgewogenen Ökosystems, in dem wirtschaftliche Vorteile breit geteilt werden, lokale Gemeinschaften florieren und das natürliche sowie kulturelle Erbe authentisch bewahrt wird. Hierfür sind kontinuierliche politische Innovation, eine robuste Umsetzung von Maßnahmen, sektorübergreifende Zusammenarbeit und die Bereitschaft, langfristige Resilienz über kurzfristige Gewinne zu stellen, unerlässlich.

Einleitung: Südtirols Tourismuserfolg und die Debatte um "Overtourism"

Ein florierender Sektor unter Druck

Südtirol hat sich über Jahrzehnte hinweg als eine der führenden Tourismusdestinationen in Europa etabliert. Die Region zieht jährlich Millionen von Besuchern an, primär aufgrund ihrer atemberaubenden Naturlandschaften, insbesondere der Dolomiten, und ihrer reichen kulturellen Vielfalt.1 Der Tourismus ist ein Eckpfeiler der regionalen Wirtschaft, schafft zahlreiche Arbeitsplätze und trägt maßgeblich zur Wertschöpfung bei.

Die Region verzeichnet seit etwa 60 Jahren ein nahezu ununterbrochenes Wachstum der Besucherzahlen, das sich seit 2013 noch verstärkt hat. Die Anzahl der Ankünfte hat sich innerhalb von 24 Jahren von 4,1 Millionen im Jahr 2000 auf 8,7 Millionen verdoppelt. Parallel dazu sind die Übernachtungszahlen auf 33 Millionen pro Jahr gestiegen, mit einer Prognose von 37 Millionen für 2024. Diese schiere Größenordnung des Tourismuswachstums ist der primäre Auslöser der aktuellen "Overtourism"-Debatte. Für eine Region mit einer Bevölkerung von nur etwa 500.000 Einwohnern bedeuten 33 bis 37 Millionen Übernachtungen eine enorme Dichte an Touristen, die als systemische Belastung wahrgenommen wird. Dies führt zu "Stress für Südtirols Bevölkerung" und "völlig überfüllten" touristischen Hotspots, die den normalen Alltag der hier lebenden Menschen erheblich erschweren. Die Verdoppelung der Ankünfte innerhalb von zwei Jahrzehnten ist somit nicht nur eine statistische Kennzahl, sondern ein Indikator für eine tiefgreifende Veränderung des Lebensraums und die kumulative Wirkung dieses massiven Wachstums auf alle Aspekte des lokalen Lebens und der Infrastruktur.

Das "Janusgesicht" des Tourismus: Wirtschaftlicher Erfolg versus soziale und ökologische Kosten

Der Tourismus in Südtirol steht trotz seines unbestreitbaren wirtschaftlichen Erfolgs unter "dauernder Beobachtung und Kritik".5 Die zunehmenden "Massenströme" werden als die "Kehrseite des Tourismus" bezeichnet, die Zielkonflikte zwischen stetigem Erfolg und negativen "Kollateraleffekten" verstärken.5 Der Begriff "Overtourism" ist in Südtirol gefühlt seit Monaten präsent und wird kontrovers diskutiert.

Die Auseinandersetzung um "Overtourism" ist nicht primär eine Kommunikations- oder PR-Herausforderung, sondern ein grundlegender Konflikt zwischen divergierenden Interessen und Werten. Während einige Akteure den Begriff als "Kampfwort" abtun, das die wirtschaftliche Notwendigkeit des Tourismus für das Überleben vieler Berggemeinden und Bauernhöfe ignoriert, sehen andere darin ein echtes und drängendes Problem, das die Lebensqualität der Einheimischen massiv beeinträchtigt. Die Metapher des "Janusgesichts" und die Charakterisierung von "Overtourism" als "Kampfwort" im Gegensatz zu einem "Problem" verdeutlichen eine tiefe Spaltung in der Wahrnehmung und den Prioritäten. Es geht nicht nur darum, wie der Tourismus nach außen dargestellt wird, sondern um einen fundamentalen Interessenkonflikt zwischen wirtschaftlichen Maximierungszielen und dem Schutz der Umwelt sowie der sozialen Kohäsion. Die Tatsache, dass diese Debatte so leidenschaftlich geführt wird und sogar zu Protestaktionen führt, unterstreicht, dass es sich um einen hochpolitischen und emotional aufgeladenen Konflikt handelt, der eine klare strategische Positionierung und nicht nur kosmetische Anpassungen erfordert.

Der Imperativ des "Lebensraummanagements": Vom Destinations- zum Lebensraum

Herausforderungen für die lokale Bevölkerung und Infrastruktur

Die intensive Tourismusentwicklung hat "spürbare Auswirkungen" auf den "Raum, die Natur und Landschaft sowie auf das kulturelle Leben in Südtirol". Diese Erkenntnis hat zu der Forderung nach einem grundlegenden Wandel vom reinen Destinationsmanagement hin zu einem umfassenden Lebensraummanagement geführt, das die Interessen der Bevölkerung ebenso wie jene der Gäste berücksichtigt. Der Übergang zum "Lebensraummanagement" ist eine direkte Anerkennung des systemischen Versagens eines reinen "Destinationsmanagements", die sozialen und ökologischen Externalitäten des Tourismus zu adressieren. Die wiederholte Forderung nach diesem Paradigmenwechsel signalisiert die Erkenntnis, dass das bisherige Modell, das sich primär auf die Maximierung von Touristenzahlen und Einnahmen konzentrierte, zu inakzeptablen negativen Auswirkungen auf den "Lebensraum" selbst geführt hat.

Diese Auswirkungen bedrohen die langfristige Akzeptanz des Tourismus durch die Bevölkerung. Die Umstellung auf Lebensraummanagement impliziert eine strategische Neuausrichtung, bei der das ganzheitliche Wohlergehen der lokalen Bevölkerung und die Bewahrung der Umwelt gleichberechtigt neben den wirtschaftlichen Zielen stehen müssen, um die Grundlage des Tourismus selbst zu sichern.

Konkrete Belastungen durch Massentourismus umfassen:

Überfüllung und Verkehr: Städte und touristische Hotspots sind "völlig überfüllt," was den normalen Alltag der hier lebenden Menschen erschwert. Etwa 85% der An- und Abreisen erfolgen mit dem Pkw, was zu einer "Intensität auf Berg- und Passstraßen [führt], die jeder Beschreibung spottet". Dies verursacht erhebliche Luft- und Lärmverschmutzung, die durch die besondere Topografie der Alpen noch verschärft wird.
Steigende Lebenshaltungskosten und Wohnungsnot: Die hohe Tourismusintensität lässt die "Preise bei Mieten und ausgewählten Produkten steigen". Die "chronische Wohnungsnot" ist ein "Dauerthema," wobei 250.000 Gästebetten der Knappheit an bezahlbarem Wohnraum für Einheimische gegenüberstehen.
Druck auf die Infrastruktur: Die plötzliche Zunahme von Touristen stellt eine erhebliche Belastung für die lokale Infrastruktur dar, einschließlich Verkehr, Abfallentsorgung, Wasser- und Stromversorgung sowie Gesundheitsdienste. Oftmals sind die vorhandenen Einrichtungen nicht in der Lage, den erhöhten Bedarf zu decken.
Verlust kultureller Identität und Verschlechterung der Lebensqualität: Die Kommerzialisierung von Kultur und Traditionen kann zu einem Verlust der authentischen lokalen Identität führen, da traditionelle Geschäfte und Familienbetriebe durch auf Touristen ausgerichtete internationale Ketten ersetzt werden. Viele Einwohner fühlen sich aus ihren eigenen Vierteln verdrängt, wenn diese zu reinen Touristenattraktionen werden.

Sinkende Akzeptanz und lokale Proteste

Weltweit und auch in Südtirol machen sich "zunehmende Ressentiments bei breiten Bevölkerungskreisen gegenüber (intensiven) Tourismusmodellen bemerkbar". Obwohl die Einstellung der Bevölkerung zum Tourismus nach wie vor positiv ist, zeigt sich aufgrund der hohen Tourismusintensität eine "sinkende Tendenz". Diese Unzufriedenheit manifestiert sich zunehmend in sichtbaren Protestaktionen gegen Massentourismus, wie beispielsweise Sprühaktionen auf Schnee, deren "plausiblen Grund" selbst lokale Bürgermeister anerkennen. Dies verdeutlicht, dass die Sorgen der Einheimischen nicht mehr ignoriert werden können und einen kritischen Punkt erreicht haben, der politische Antworten erfordert.

Die öffentliche Debatte und die Proteste sind ein deutliches Signal für eine wachsende Forderung nach Co-Governance und einer Neuausrichtung der Machtverhältnisse in der Tourismusentwicklung. Das Auftreten von "zunehmenden Ressentiments" und konkreten "Protest-Aktionen" zeigt, dass die lokale Bevölkerung nicht länger bereit ist, die negativen Auswirkungen des Tourismus passiv hinzunehmen. Sie fordert aktiv eine stärkere Beteiligung an den Entscheidungsprozessen und eine ernsthafte Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse. Dies impliziert, dass zukünftige Tourismuspolitik über reine Top-down-Ansätze hinausgehen muss. Eine erfolgreiche Strategie erfordert die Etablierung von Mechanismen für eine echte Co-Governance, bei der die Meinungen und Sorgen der Einheimischen nicht nur gehört, sondern als entscheidende Faktoren in die Planung und Umsetzung einbezogen werden, um die soziale Akzeptanz und damit die langfristige Stabilität des Tourismussektors zu gewährleisten.

Politische Antworten: Der "Bettenstopp" und seine Wirksamkeit

Einführung und Ziele des Bettenstopps

Als direkte Reaktion auf die wachsende "Overtourism"-Debatte und den Druck der Bevölkerung hat Südtirol einen "Bettenstopp" beschlossen. Dieses Dekret des Landeshauptmanns vom 26. September 2022 (Nr. 25) legt eine "Bettenobergrenze" fest, um dem "Übertourismus" Einhalt zu gebieten. Der Bettenstopp wurde als ein wichtiger Schritt zur Reduzierung des Entwicklungstempos und des quantitativen Wachstums im Tourismussektor gesehen.16 Er erfasst grundsätzlich alle Beherbergungsarten, einschließlich privater Angebote, die auf einschlägigen Internetportalen angeboten werden.17

Der "Bettenstopp" stellt einen signifikanten Kurswechsel von einem ungezügelten Wachstum zu einer regulierten Entwicklung dar, der maßgeblich durch sozialen Druck initiiert wurde. Die Einführung dieser Maßnahme ist eine klare politische Intervention in die bisherige Wachstumslogik des Tourismus. Sie signalisiert, dass die Landesregierung die sozialen und ökologischen Grenzen des Wachstums anerkennt und bereit ist, Maßnahmen zur Begrenzung der quantitativen Expansion zu ergreifen. Dies ist eine direkte Reaktion auf die zunehmenden Ressentiments und Proteste der Bevölkerung. Der Bettenstopp ist somit nicht nur ein administratives Instrument, sondern ein politisches Statement, das den Wandel in der Wahrnehmung des Tourismus als reinen Wirtschaftsfaktor hin zu einem integralen Bestandteil des Lebensraums Südtirol widerspiegelt.

Kritik und Herausforderungen bei der Umsetzung

Trotz des Bettenstopps hat die Zahl der gemeldeten Gästebetten (ohne Zweitwohnungen) bis Februar 2025 die Marke von 260.000 überschritten. Diese Zahl liegt über den 250.000 Betten, die bereits 2024 als Treiber der chronischen Wohnungsnot genannt wurden. Der Heimatpflegeverband Südtirols kritisiert daher, der Bettenstopp sei "gescheitert" und fordert eine "sofortige Revision" der Verordnung sowie eine "Einschränkung der touristischen Kurzzeitvermietung von Wohneinheiten" und ein Moratorium für den Bau neuer Bettenkapazitäten.

Ein wesentlicher Grund für diese Kritik sind die bestehenden Ausnahmeregelungen: Artikel 35 des Landesraumordnungsgesetzes erlaubt weiterhin Erweiterungen von gastgewerblichen Betrieben, wenn auch mit definierten Grenzen (z.B. maximal 20 Betten zusätzlich für kleine Betriebe, 20% für größere bis maximal 140 Betten). Zudem wurden im Vorfeld der Regelung "zahlreiche Hotelausbauprojekte angemeldet", was die Effektivität der Maßnahme weiter mindert.

Der Hoteliers- und Gastwirteverband (HGV) sieht "Licht und Schatten" in der Regelung. Während er die prinzipielle Entscheidung zum Bettenstopp begrüßt, kritisiert er insbesondere die "weitere Ausnahme von der Ausnahme für Urlaub auf dem Bauernhof" als "nicht nachvollziehbar" und fordert eine Nachschärfung der Kriterien, um "Landwirtschaft nur auf dem Papier" zu unterbinden. Dies deutet auf interne Spannungen innerhalb der Tourismusbranche hin.

Die Analyse zeigt, dass der "Bettenstopp" in der Praxis eher eine Politik des "gesteuerten Wachstums" als ein tatsächlicher Stopp ist, was zu einer Wahrnehmung der Ineffektivität und zu internen Reibungen in der Branche führt. Die vorliegenden Daten belegen, dass die Bettenanzahl in Südtirol trotz des "Bettenstopps" weiterhin steigt. Die Existenz von "Erweiterungen" durch das Landesraumordnungsgesetz und die Tatsache, dass viele Projekte vor Inkrafttreten angemeldet wurden, erklären, warum der Bettenstopp von Kritikern als "gescheitert" betrachtet wird. Dies deutet darauf hin, dass die Politik zwar eine Begrenzung anstrebt, aber die Implementierung durch Ausnahmen und antizipatorisches Verhalten der Branche abgeschwächt wird. Die Kritik des HGV an den Ausnahmen für "Urlaub auf dem Bauernhof" offenbart zudem interne Konflikte innerhalb des Tourismussektors, die die Konsolidierung einer einheitlichen Strategie erschweren und die Wirksamkeit der Maßnahme weiter in Frage stellen. Dies ist ein komplexes Zusammenspiel aus Politik, Gesetzgebung, Wirtschaftsinteressen und öffentlicher Wahrnehmung.

Säulen des nachhaltigen Tourismus in Südtirol: Initiativen und Standards

Ambitionierte Umweltziele und Klimaschutz

Südtirol hat sich ehrgeizige Klimaziele gesetzt, die weit über den Tourismussektor hinausgehen: Die Region strebt eine Reduzierung der CO2-Emissionen um 55% bis 2030 und Klimaneutralität bis 2040 an. Dies ist Teil einer umfassenden Vision, Südtirol als "begehrtesten nachhaltigen Lebensraum Europas" zu positionieren.

Die ehrgeizigen Klimaziele Südtirols und die Betonung des "sensiblen Ökosystems Alpenraums" verdeutlichen eine strategische Priorisierung des Umweltschutzes, die über reine Tourismusinteressen hinausgeht und die langfristige Resilienz der Region sichern soll. Der Alpenraum gilt als eines der "sensibelsten Ökosysteme der Erde", dessen Schutz "essenziell" ist, um ihn für nachfolgende Generationen zu bewahren. Dies bedeutet, dass die Klimaschutzmaßnahmen nicht nur als Reaktion auf externe Anforderungen, sondern als fundamentale Voraussetzung für die langfristige Attraktivität und Lebensfähigkeit der Destination verstanden werden. Die Integration von Klimaschutz in die Tourismusstrategie ist somit ein proaktiver Schritt zur Anpassung an den Klimawandel und zur Sicherung der natürlichen Ressourcen, die die Grundlage des Tourismus bilden.

Konkrete Maßnahmen zur Zielerreichung umfassen:

Förderung erneuerbarer Energien: Windkraft, Wasserkraft und insbesondere Photovoltaikanlagen werden aktiv gefördert. Unternehmen und private Haushalte werden beim Umstieg auf saubere Energie unterstützt, um Emissionen nachweislich zu senken.
Energieeffizientes Bauen: Projekte wie Passivhäuser und Niedrigenergiegebäude werden gefördert, ebenso wie die Sanierung bestehender Gebäude. Kreislaufwirtschaftsprojekte wie INNO.CIRCLE und SustainaBuild tragen zur Reduzierung des ökologischen Fußabdrucks bei, indem sie Bauen nachhaltiger gestalten.
Waldschutz: Über 50% der Fläche Südtirols ist von Wäldern bedeckt, die als Kohlenstoffsenken, Lebensräume und Schutzbarrieren dienen. Die Waldagenda 2030 konzentriert sich auf den Schutz dieser Wälder, um die natürlichen Kohlenstoffsenken zu erhalten.

Nachhaltige Mobilität als Schlüssel zur Entlastung

Die An- und Abreise sowie die Mobilität am Urlaubsort hinterlassen häufig einen großen CO2-Fußabdruck. Daher hat sich Südtirol zum Ziel gesetzt, die Luftverschmutzung bis 2030 deutlich zu reduzieren, unter anderem durch emissionsarme Technologien und nachhaltige Verkehrspolitik. Bis 2030 sollen 75% der neu zugelassenen Fahrzeuge emissionsarm sein.

Die Förderung nachhaltiger Mobilität ist nicht nur eine Umweltmaßnahme, sondern ein zentraler Hebel zur Reduzierung der sozialen Belastung durch Verkehr und zur Verbesserung der Lebensqualität der Einheimischen. Eine Reduzierung des motorisierten Verkehrs, insbesondere des Pkw-Verkehrs, der für 85% der An- und Abreisen verantwortlich ist und zu erheblicher Luft- und Lärmverschmutzung führt, entlastet nicht nur die Umwelt, sondern auch die überfüllten Straßen und Passstraßen. Dies verbessert direkt den Alltag der lokalen Bevölkerung und erhöht die Attraktivität der Destination für Gäste, die einen sanfteren Tourismus bevorzugen.

Wichtige Initiativen in diesem Bereich sind:

Öffentlicher Nahverkehr: Der Südtirol Guest Pass, der von 90% der Unterkünfte angeboten wird, ermöglicht die freie Nutzung eines umfassenden öffentlichen Nahverkehrsnetzes, das 200 Buslinien, 4 Bahnstrecken und 7 Seil- und Standseilbahnen umfasst. Erfahrungen zeigen, dass das Südtiroler Verkehrsnetz so gut erschlossen ist, dass ein Auto überflüssig wird, was Parkplatzsuche und teure Parkplätze vermeidet.
Elektromobilität: Es gibt 444 öffentliche Ladepunkte für Elektroautos, die mit sauberer Energie betrieben werden
Radwegenetz: Das urbane und ländliche Radwegenetz wird stetig ausgebaut, mit dem Ziel, bis 2030 20% der täglichen Wege per Fahrrad zurückzulegen.
Autofreie Konzepte: Gemeinden der "Alpine Pearls" bieten autofreie Erholung mit Mobilitätsgarantie am Urlaubsort durch Shuttledienste, Wander- und Skibusse, Taxis, Elektroautos und Fahrräder. Einige Ortszentren sind bereits komplett autofrei, und Hochalmen wie die Rodenecker Alm und die Seiser Alm sind für den motorisierten Verkehr gesperrt.

Verantwortungsvolles Ressourcenmanagement (Wasser, Abfall)

Südtirol legt großen Wert auf den nachhaltigen Umgang mit seinen natürlichen Ressourcen. Das umfassende Ressourcenmanagement zeigt ein Bewusstsein für die Endlichkeit natürlicher Ressourcen und die Notwendigkeit, den Tourismus in die Kreislaufwirtschaft zu integrieren, um langfristige ökologische Stabilität zu gewährleisten. Dies ist besonders relevant, da der Wasserverbrauch pro Gast in Südtirol auf beinahe doppelter Höhe des Konsums der Ortsansässigen liegt. Die Integration von Kreislaufwirtschaftsprinzipien in die Tourismusbranche, beispielsweise durch die Förderung von Abfallvermeidung und Recycling, ist ein entscheidender Schritt, um die ökologischen Auswirkungen des Tourismus zu minimieren und die Lebensgrundlagen für zukünftige Generationen zu sichern.

Wassermanagement: Südtirol bezieht sein Wasser aus reinen Alpenquellen und verfügt über eine der höchsten Wasserqualitäten in Europa. 99% der Haushalte sind an die öffentliche Wasserversorgung angeschlossen, und über 100 Kläranlagen reinigen das Wasser nach strengen Standards. In der Landwirtschaft kommt fortschrittliche Tröpfchenbewässerung zum Einsatz, und Skigebiete nutzen innovative Technologien zur Schneeerzeugung, um Wasser effizient zu nutzen. Die Gewässerqualität von über 3.000 km Fließgewässern und zahlreichen Seen wird laufend überwacht. Destinationen mit hohem Wasserrisiko legen Ziele für den verantwortungsvollen Umgang mit Wasser fest, um Konflikte mit den Bedürfnissen der Bevölkerung und Ökosystemen zu vermeiden.
Abfallmanagement: Die Destination erfasst ihr Abfallaufkommen, berichtet darüber und setzt Reduktionsziele. Ein mehrstufiges Sammel- und Recyclingsystem ermöglicht eine wirksame Abfalltrennung. Unternehmen werden ermutigt, feste Abfälle, einschließlich Lebensmittelabfälle, zu vermeiden, zu reduzieren, wiederzuverwenden und zu recyceln. Maßnahmen zur Eliminierung oder Reduzierung von Einwegartikeln, insbesondere Kunststoffen, werden ergriffen.

Förderung von Nachhaltigkeitsstandards und Zertifizierungen

Südtirol fördert aktiv die Übernahme von Nachhaltigkeitsstandards und -zertifizierungen im Tourismussektor. Die aktive Förderung von Nachhaltigkeitsstandards und Zertifizierungen signalisiert den Versuch, Qualität über Quantität zu stellen und den Tourismussektor zu einer proaktiven Rolle in der nachhaltigen Entwicklung zu bewegen. Dies ist ein strategischer Ansatz, um die Destination als Vorreiter im nachhaltigen Tourismus zu positionieren und den Gästen zu signalisieren, dass Südtirol nicht nur landschaftlich attraktiv, sondern auch verantwortungsbewusst ist.

Südtirol Nachhaltigkeitslabel: Dieses Label zeichnet nachhaltige Betriebe aus und verschafft ihnen mehr Sichtbarkeit auf Buchungskanälen. Es hat drei Stufen, wobei Stufe drei die höchste Auszeichnung ist. Im November 2024 trugen etwa 100 Gastbetriebe Stufe 1 und 35 Gastbetriebe Stufe 3. Das Label wurde auf andere Wirtschaftssektoren ausgeweitet und kann zukünftig auch von Privatzimmervermietern und Campingplatzbetreibern beantragt werden. Kriterien umfassen eine generelle Bewertung der Nachhaltigkeit des Betriebs, CO2-Bilanzierung (für Betriebe ab 10 Mitarbeitenden) und den Bezug von 100% regionalen Produkten wie Frischmilch, Joghurt, Butter, Äpfel und Apfelsaft aus Südtirol.
GSTC-I anerkannte Standards: Die Destination fördert die Anwendung von GSTC-I-anerkannten Standards und akkreditierten Zertifizierungssystemen für Tourismusunternehmen.
Branchenweite Initiativen: Der Hoteliers- und Gastwirteverband (HGV) hat erste Schritte im Nachhaltigkeitsmanagement gemacht und möchte diese weiter ausbauen. Auch TourCert ist als Preferred Partner in Italien aktiv, um Nachhaltigkeit als Grundmodell für das Wirtschaften im Tourismussektor zu verankern.
Alpine Pearls: Einige Gemeinden Südtirols haben sich den Alpine Pearls angeschlossen, die ein modernes Urlaubskonzept vertreten, das Nachhaltigkeit und sanften Tourismus in den Alpen umsetzt.

Zukünftige Ausrichtung: Chancen, Risiken und der Weg nach vorn

Klimawandel als transformativer Faktor

Der Klimawandel stellt eine der größten Herausforderungen für den Tourismus in Südtirol dar. Die Veränderungen sind im Alpenraum bereits spürbar, mit einem durchschnittlichen Temperaturanstieg von 2°C seit 1980. Diese Erwärmung hat direkte Auswirkungen auf touristische Angebote, die eng mit Wetter, Natur und Landschaftsform verbunden sind, wie Skifahren, Wandern und Radfahren.

Der Klimawandel erzwingt eine fundamentale Neuausrichtung des touristischen Angebots, weg von der Abhängigkeit vom Wintertourismus hin zu ganzjährigen, resilienteren und klimaunabhängigeren Modellen. Die Dauer der Schneebedeckung wird abnehmen, und Niederschlag im Winter wird häufiger als Regen fallen. Dies bedroht die traditionelle Wintersaison, die im Passeiertal nur 30% der Übernachtungen ausmacht, während der Sommer 70% generiert. Gleichzeitig könnten höhere Temperaturen im Frühling und Herbst die Sommersaison verlängern und neue Möglichkeiten für Outdoor-Aktivitäten schaffen. Die Zunahme von Sonnenstunden kann positiv sein, birgt aber auch das Risiko vermehrter Starkniederschlagsereignisse und trockener Perioden im Sommer.

Um diesen Veränderungen zu begegnen, ist eine Angebotsdiversifikation unerlässlich. Neue Geschäftsmodelle für Skigebiete sind notwendig, um die Wertschöpfung des Kernangebots in der Hochsaison zu sichern, die durch den Klimawandel bedroht ist. Dies könnte auch die Entwicklung von klimaunabhängigen Angeboten im MICE-Tourismus (Meetings, Incentives, Conferences, Exhibitions) umfassen.

Die Rolle von Daten und Forschung (STOST)

Die Beobachtungsstelle für nachhaltigen Tourismus Südtirol (STOST) spielt eine zentrale Rolle bei der Überwachung und Analyse der Tourismusentwicklung. Die Etablierung und Stärkung von Forschungseinrichtungen wie STOST unterstreicht die Erkenntnis, dass eine evidenzbasierte Politikgestaltung für eine nachhaltige Tourismusentwicklung unerlässlich ist. In einer Zeit, in der die Grundlagen des Fremdenverkehrs durch Pandemien, Klimakrise und Biodiversitätskrise im Wandel sind, ist der Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis von großer Bedeutung, um komplexe Umweltthemen effektiv anzugehen und fundierte Entscheidungen zu treffen.

STOST hat seine Rolle als Tourismus-Informationstool während der Covid-19-Pandemie gestärkt, indem es kurz-, mittel- und langfristige Entwicklungen verfolgte und politische Maßnahmen für eine nachhaltige Zukunft unterstützt. Die Beobachtungsstelle liefert zeitnah und zuverlässig Informationen über aktuelle Entwicklungen und bildet die Grundlage für eine faktenbasierte Entscheidungsfindung der lokalen Stakeholder. Die Indikatoren und deren Entwicklung über die Jahre dienen als wichtiger Kompass für die Formulierung von Politiken, wie dem Bettenstopp. STOST analysiert die Auswirkungen des Tourismus auf Beschäftigung, Wirtschaft, Lebensqualität der Südtiroler (z.B. steigende Preise) und den Verbrauch von Ressourcen wie Wasser und Energie.

Chancen durch qualitative Entwicklung und neue Geschäftsmodelle

Angesichts der Herausforderungen durch Overtourism und Klimawandel bietet die Konzentration auf eine qualitative Entwicklung des Tourismus in Südtirol erhebliche Chancen. Die Betonung von Authentizität, regionaler Wertschöpfung und sanftem Tourismus bietet eine Möglichkeit, die Qualität des Angebots zu erhöhen und gleichzeitig die Akzeptanz bei der lokalen Bevölkerung zu stärken. Dies ist ein strategischer Schritt, um die Destination langfristig attraktiv und lebenswert zu erhalten.

Sanfter Tourismus: Südtirol fördert den sanften Tourismus und den Schutz sensibler Ökosysteme. Dies beinhaltet autofreie Konzepte, die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel und die Förderung von Wander- und Radurlauben. Der Fokus liegt auf der Bewahrung der Natur und Kultur des Urlaubsorts durch umsichtiges und umweltfreundliches Verhalten.
Regionale Wertschöpfung und Authentizität: Die Unterstützung der lokalen Wirtschaft durch touristische Betriebe ist unabdingbar. Dies umfasst die Förderung regionaler Produkte und die Bewahrung der kulturellen Identität. Viele Betriebe setzen auf biologische, regionale und saisonale Produkte, oft aus eigener Erzeugung. Die kulinarische Szene erlebt eine Rückbesinnung auf traditionelle und lokale Gerichte, ergänzt durch eine wachsende vegan-vegetarische Bewegung.
Qualität statt Quantität: Südtirol strebt danach, ein Qualitätsvorsprung im touristischen Produkt zu erzielen, bei dem aus einem Urlaub eine "nachhaltige Südtirol-Erfahrung" wird. Familiäre Strukturen, authentische Gastfreundschaft und persönlicher Einsatz stehen im Mittelpunkt.
Innovative Projekte: Initiativen wie "Sustainable Destinations" zeigen, wie nachhaltiger Tourismus in Pionierregionen sichtbar gemacht wird, mit thematischen Schwerpunkten auf Kreislaufwirtschaft, Mobilität und Biodiversität.
Anpassung an den Klimawandel: Die Diversifizierung des Angebots, um weniger wetterabhängig zu sein, ist entscheidend. Dies beinhaltet die Stärkung des Sommertourismus, die Entwicklung von Wellness- und Kulturangeboten sowie die Förderung von MICE-Tourismus, der klimaunabhängig ist.

Ausblick

Südtirol steht vor der komplexen Aufgabe, den Erfolg seines Tourismussektors mit den Anforderungen an den Schutz seines einzigartigen Lebensraums und der Lebensqualität seiner Bewohner in Einklang zu bringen. Die Debatte um "Overtourism" ist ein klares Indiz dafür, dass das bisherige Modell des ungezügelten Wachstums an seine Grenzen stößt und ein Paradigmenwechsel zum "Lebensraummanagement" unausweichlich ist.

Der "Bettenstopp" ist ein wichtiger politischer Schritt, der die Ernsthaftigkeit der Landesregierung signalisiert, quantitative Grenzen zu setzen. Seine Wirksamkeit wird jedoch durch Ausnahmeregelungen und die Notwendigkeit einer konsequenteren Umsetzung herausgefordert. Die anhaltende Kritik und die internen Spannungen innerhalb der Branche zeigen, dass ein rein administrativer Ansatz nicht ausreicht. Es bedarf einer breiteren Akzeptanz und eines gemeinsamen Verständnisses für die Notwendigkeit einer qualitativen Entwicklung.

Die Zukunft des Südtiroler Tourismus liegt in der konsequenten Verankerung von Nachhaltigkeit als Kernprinzip. Dies umfasst ambitionierte Klimaschutzziele, die Förderung nachhaltiger Mobilität als Mittel zur Entlastung der Infrastruktur und zur Verbesserung der Lebensqualität, sowie ein verantwortungsvolles Ressourcenmanagement. Die aktive Förderung von Nachhaltigkeitsstandards und Zertifizierungen ist ein wichtiger Schritt, um Qualität über Quantität zu stellen und den Sektor zu einer proaktiven Rolle in der nachhaltigen Entwicklung zu bewegen.

Der Klimawandel erzwingt eine fundamentale Neuausrichtung des touristischen Angebots, weg von der Abhängigkeit vom Wintertourismus hin zu ganzjährigen, resilienteren und klimaunabhängigeren Modellen. Hier bieten sich Chancen für eine stärkere Betonung von Authentizität, regionaler Wertschöpfung und sanftem Tourismus. Die Rolle von datengestützter Forschung, wie sie von STOST geleistet wird, ist dabei unerlässlich, um evidenzbasierte Entscheidungen zu treffen und die Transformation erfolgreich zu gestalten.

Letztendlich hängt der langfristige Erfolg des Südtiroler Tourismus davon ab, ob es gelingt, eine Balance zu finden, die die wirtschaftlichen Vorteile des Tourismus mit dem Schutz der natürlichen Umwelt und der Sicherung der Lebensqualität für die lokale Bevölkerung verbindet. Dies erfordert eine kontinuierliche Anpassung, Innovation und eine starke Zusammenarbeit aller Stakeholder, um Südtirol als einen begehrten und nachhaltigen Lebensraum für Bewohner und Gäste gleichermaßen zu bewahren.